Beschluss „Ethik als dem Religionsunterricht gleichwertiges Schulfach einführen“

13. November 2016  Initiativen

beim Landesparteitag am 12./13.11. in Bensheim

Der Parteitag stimmte mit großer Mehrheit dem von der LAG Laizismus Hessen formulierten Antrag zu:

  1. DIE LINKE. Hessen kritisiert, dass die Landesregierung die Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots von Ethik erneut um vier Jahre verzögert hat. Nach der Einführung des Faches Ethik als verpflichtendes Ersatzfach 1995 wurde bis heute das entsprechende Angebot nicht geschaffen. Auch die aktuelle „Verordnung über den Ethikunterricht“ sieht vor, dass Ethikunterricht erst ab dem Schuljahr 2020/21 in allen Jahrgangsstufen der Grundschule eingerichtet sein muss. Es ist nicht akzeptabel, dass das Recht, sich für eine nichtreligiöse Weltanschauung („negative Religionsfreiheit“) zu entscheiden, dauerhaft unter Ressourcenvorbehalt steht. Die Ressourcen für eine flächendeckende Einführung des Faches Ethik müssen ohne weitere Verzögerung zur Verfügung gestellt werden.
  2. Ethikunterricht darf nicht von Religionslehrkräften durchgeführt werden.
  3. DIE LINKE. Hessen fordert darüber hinaus die Abschaffung des Faches Ethik als Ersatzpflichtfach und die Einführung des Ethikunterrichts als dem Religionsunterricht in allen Belangen gleichgestelltes Schulfach. Die Bezeichnung und Behandlung als Ersatzfach ist rechtlich unzulässig, pädagogisch unangebracht und demografisch überholt. Der Ersatzfachstatus hat zur Folge, dass der Ethikunterricht nicht als Leistungskursfach angewählt werden kann.

Begründung:

Mit Blick auf die anstehende Programmarbeit für die Hessenwahl sollten wir religionspolitische Themen, die in die Zuständigkeit der Länder fallen, frühzeitig auf die Tagesordnung nehmen und Klärungen herbeiführen. Außerdem ist die im Gang befindliche Überarbeitung der hessischen Verfassung ein Anlass, grundsätzliche Ziele zu formulieren.

zu 1:

1995 war die Einführung des Ethikunterrichts als Ersatzfach beschlossen worden. Achtzehn Jahre später erklärte die Landesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage vom 15.01.2013, dass nach vier weiteren Jahren – also 2017 – die flächendeckende Einführung wenigstens an den Grundschulen erfolgt sein soll.

Laut Auskunft der damaligen Kultusministerin Nicola Beer wurde Ethik im Schuljahr 2012/2013 an 106 öffentlichen Grundschulen unterrichtet (Antwort auf Kleine Anfrage Merz/Roth am 5.3.2013). In Hessen gibt es 1006 Grundschulen. Damit lag der Einführungsgrad von Ethik an Grundschulen bei etwa 10%, was sich in den seitdem vergangenen vier Jahren nicht grundlegend verändert hat. Damit liegt Hessen im Vergleich der Bundesländer ganz hinten.

Dennoch gibt die Landesregierung in der aktuellen hessischen „Verordnung über den Ethikunterricht“ vom 1.8.2016 den Grundschulen noch bis zum Schuljahr 2021/2022 Zeit, den Ethikunterricht in allen Jahrgangsstufen einzurichten. Die Interessen von einem Drittel der Bevölkerung, das keiner Religion angehört, und von ca. 50% der Jugendlichen, die sich nicht zu einem religiösen Weltbild bekennen (Shell-Studie 2015), werden in Hessen vernachlässigt.

Zu 2:

Die Selbstverständlichkeit, dass Ethikunterricht nicht von Religionslehrerinnen und -lehrern durchgeführt wird, wurde leider in den mehr als 20 Jahren seit der Einführung des Ethikunterrichts nicht umgesetzt. In der aktuellen „Verordnung über den Ethikunterricht“ wurde die ‚Übergangslösung‘ nochmals fortgeschrieben.

Zu 3:

Die Wahl zwischen bekenntnisorientiertem Religionsunterricht und Ethikunterricht ist nicht frei. Denn die direkte Anwahl des Ethikunterrichts ist bislang aufgrund des Ersatzfachstatus nicht möglich: nur die Schülerinnen und Schüler, die sich nicht für den Religionsunterricht anmelden oder das Fach Religion abwählen, nehmen am Ethikunterricht teil. Bis zum 14. Lebensjahr benötigen sie dafür eine Einwilligung ihrer Eltern.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte (BVerwG, 17.06.1998 – 6 C 11.97): „…den Ethikunterricht als nicht gleichwertigen ‚Ersatzunterricht‘ aufzufassen bedarf der verfassungskonformen Korrektur.“ Die Abschaffung des Ersatzfach-Status ist also rechtlich nicht nur möglich, sondern sogar geboten.

Zu 4:

Da Religion im Grundgesetz als ordentliches Lehrfach festgelegt ist, ist kurzfristig nur die in Punkt 3 geforderte Gleichstellung des Ethikunterrichts umsetzbar. Als grundsätzliches Ziel ist aber anzustreben, dass alle Schülerinnen und Schülern gemeinsam einen weltanschaulich neutralen Ethikunterricht besuchen, der durch konfessionellen Religionsunterricht ergänzt werden kann.

Diese Zielsetzung konkretisiert die Aussage im Erfurter Grundsatzprogramm der LINKEN: „Schulen sollen Wissen über Religionen vermitteln und die wechselseitige Toleranz der Glaubensgemeinschaften fördern. Der Unterricht ist im Rahmen des Bildungsauftrags des Staates durch staatlich anerkannte Lehrkräfte zu leisten, unabhängig von kirchlicher oder religionsgemeinschaftlicher Einflussnahme“.

Dies ist pädagogisch geboten, denn (konfessionelle) Spezialbildung erfolgt sinnvollerweise auf der Basis von (weltanschaulich neutraler) Allgemeinbildung.

Auch in Deutschland wächst das Misstrauen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen mitunter bis hin zur Feindseligkeit. Die Schulen sind ein entscheidender Ort, dem entgegen zu wirken. Das Reden über jeweils andersdenkende und andersglaubende Schülerinnen und Schüler und deren Religionen im speziellen Religionsunterricht begünstigt die Entstehung von Vorurteilen. Das Reden mit ihnen in einem gemeinsamen Unterricht ist besser geeignet, Vorurteile abzubauen.

Es wird argumentiert, dass die Ausweitung des konfessionellen Religionsunterrichts die muslimische und andere in Deutschland minoritäre Religionsgemeinschaften gegenüber den beiden christlichen Hauptreligionen stärke, da jene nun das gleiche Privileg erhalten. Nun gibt es bei den Minderheits-Religionen aber weitere Fragmentierungen, so dass eine Vielzahl von religiösen Richtungen für den Unterricht zugelassen ist. Ein einigermaßen flächendeckender konfessioneller Religionsunterricht kommt unter diesen Bedingungen nicht zustande, die neue „Gleichberechtigung“ ist faktisch nicht nutzbar. Im Sinne der Gleichberechtigung ist ein gemeinsamer Ethikunterricht die beste Lösung.

Die Forderung nach gemeinsamen Pflichtunterricht in Ethik und zusätzlichem freiwilligen Religionsunterricht wird übrigens von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Laut einer Befragung aus 2008 (Quelle: FR 12.7.2016 „Ethik ist wichtiger als Religion“) sprachen sich 55 Prozent für dieses Modell aus, nur 41 Prozent waren dagegen.

 

Ein vierter Punkt zur grundsätzlichen Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht wurde zunächst zurückgestellt. Den kompletten Antrag mit diesem nicht beschlossenen Punkt und der entsprechenden Begründung als PDF.